leute, ich hab nachgedacht.
ich war nämlich in jüngster zeit mehrmals im schwimmbad. schwimmbäder sind etwas sehr praktisches, vor allem wenn es langsam warm wird und selbst die blassesten, teigigsten freaks aus ihren bratheißen dachgeschosswohnungen gekrochen kommen. einerseits kocht dann meine gepflegte misanthropie immer mal wieder hoch und erreicht gelegentlich nie gekannte, geradezu gipfelhafte ausmaße. andererseits lassen sich in schwimmbädern (vor allem in denen, die in randgebieten deutscher großstädte liegen, da, wo das echte, unverfälschte leben tobt) großartige neue hobbies entwickeln, so zum beispiel nachdenken (an sich völlig überschätzt, aber die bahnen sind nunmal lang) und, der favorit unter den neuen boredom-killern: im geiste die rechtschreibfehler auf den tattoos der umherplanschenden mitmenschen korrigieren. den ganz besonderen, bittersüß stechenden kick verdankt man dabei natürlich der ausweglosigkeit der erkenntnis.
ich dachte jedenfalls nach, und das erschreckendste daran war, dass es absolut rein garnichts nützte. die verzweiflung über mein chronisch entweder unter- oder überfordertes gehirn wächst täglich. es ist echt kein gutes gefühl, entweder zu blöd für den richtigen, endgültigen durchbruch als intelligenzbestie oder wiederum ein paar IQ-striche zu schwer, um sich karrierewirksam schubladengerecht verkaufen zu lassen wie so manche meiner kollegen. letzteres kommt mir angesichts meiner “arbeitlosigkeit” (sprich extrem viel arbeiten und trotzdem nix verdienen) mitunter natürlich wie eine großartige, unerreichbare tugend vor, etwa so unerreichbar wie kleidergröße 36.
DIE soll ich ja, so munkelt man, am besten erreichen, falls ich tatsächlich ein engagement an einem deutschen theater anstrebe. so sagte mir meine agentur, als ich mich an einem nicht gerade kleinen haus als soubrette bewerben wollte. der genaue wortlaut war:
“was macht eigentlich ihr gewicht, frau xxx? verstehen sie das nicht falsch, aber sie können so schön singen wie sie wollen, wenn da nunmal ein augenmensch sitzt, haben sie möglicherweise pech gehabt. ihre vorgängerin trägt größe 36″ (…die vorgängerin bewegt sich auf der bühne dafür, das ganz am rande, zitat meines anspruchsvollen begleiters an einem opernabend, “wie eine mischung aus regentanz und epileptischem anfall”).
die bedeutung dieser worte kam, zum glück, erst sehr verspätet in meinem spatzenhirn an (nämlich als ich die dame von der agentur, selbst sängerin, geschätzte größe 44, schon verabschiedet hatte, mit der beruhigenden aussage, sie solle sich keine sorgen machen, ich würde etwas schwarzes und SEHR hohe schuhe anziehen zum vorsingen), denn wäre es mir früher gedämmert, hätte ich die wohlmeinende vertreterin des operngottes auf erden entweder laut ausgelacht oder noch lauter angepöbelt (gilt in unseren breiten beides selbst am telefon als nicht besonders höflich, zudem möglicherweise bei einer agentin schlicht ungeschickt).
nun muss man wissen, da ich mir ja anonymität in wort und bild auferlegt habe: von größe 36 bin ich tatsächlich ein ganzes stück entfernt, was mich (und scheinbar weite teile meines umfelds) schon seit geraumer zeit quält, grob geschätzt 16 jahre, also seit nicht mehr zu verbergen war, dass ich weiblichen geschlechts sei. nichtsdestoweniger halten sich hartnäckig auch gerüchte, natürlich gestreut von wohlmeinenden freunden und gescheiterten sowie erfolgreichen liebschaften, ich sei auf gewisse weise “trotzdem” attraktiv. ich selbst stehe mir da selbst recht schizophren gegenüber; es fällt mir leicht, als sängerin ein gewisses maß an leicht eitlem, gesundem selbstbewusstsein auf die waage zu bringen (muahahaha), zumindest denke ich beim singen selten über doppelkinn und breites kreuz nach, sondern tatsächlich über inhalte und wie man sie transportiert. außerdem ist so ein abendkleid nunmal auch um einiges vorteilhafter als ein bikini.
im privaten sieht das schon ein bisschen anders aus, da quäle ich mich gern und bin gemein zu meinem armen körper. phasen des seelenfriedens (und des dreimal wöchentlichen sportprogramms inklusive kalorienarmer futterphasen) wechseln sich hartnäckig ab mit unglückszeiten, in denen ich am liebsten mit einem schwarzen zelt bekleidet das haus verlassen würde, wenn es bloß nicht so unvorteilhaft wäre, zumal ich nicht gerade groß gewachsen bin. mein einziger trost in solchen zeiten: vor ca 300 jahren hätte ich SOWAS von dem schönheitsideal entsprochen, dass ich nur froh sein kann, dass es ein paar wenige, versprengte altmodische menschen gibt, die das vielleicht sogar gut finden, wenn man nicht als ewig anämische dürre bohnenstange durchs soubrettenfach stochert (jegliche übertreibung dient hier dem bloßen unterhaltungswert).
da saß ich nun mit dem hörer in der hand und dachte mal wieder, was für eine schreckliche zumutung es wohl für einen “augenmensch” sein müsse, eine frau anzugucken, die erstens gut singt und zweitens eine immernoch im gesellschaftlich akzeptierten bereich des normalen angesiedelte figur hat (abgesehen von deutlich sichtbaren kurven hier und da, die aber immerhin symmetrisch und proportional einwandfrei dosiert sind). da taten mir alle intendanten, agenten und direktoren geradezu leid, denen ich meine figur, mein gesicht und meine kurzen beine (high-heel geprüft bis 12 cm!!!!) bisher zugemutet habe. ehrlich, welt, ich möchte mich hiermit in aller form entschuldigen.
das ganze ereignete sich übrigens ein paar tage vor karneval. ich saß dann am karnevalssonntag in der küche und aß verstimmten gemütes und angeknacksten egos eine maiswaffel mit avocado. das radio lief nebenher, und plötzlich erschallte karnevalsgerecht:
“dicke mädchen können einfach besser singen
weil ihre körper einfach besser klingen
dicke mädchen sind die idealen
selbst rubens wollte keinen and´ren malen”
selten fand ich es so tröstlich, in einer karnevalshochburg zu leben. ich hab dann noch käse auf die maiswaffel gelegt.
möglicherweise werden die kostümbildner aber auch einfach nur fauler heutzutage. früher war das ja anders. da schaffte man es sogar einmal, mich (einspringer für eine operettengala an einem großen haus) in kürzester zeit in einen maßgeschneiderten traum aus rosa seide und türkisem blumentüll (!!) zu wickeln, und zwar so, dass ich mich sogar selbst ganz ansprechend fand. auch heute noch träume ich nachts von diesem gewandmeister (natürlich stockschwul und begeistert von allem was ich, schätzchen, tat), der es vermochte, mich nicht wie ein übergewichtiger hässlicher bittsteller, sondern wie eine sexy diva fühlen zu lassen. so müssten sie alle sein.
oder wie der regisseur (selbst ziemlich offensichtlich ein genussmensch), der mich als venus besetzte (operetten-venus, nicht gestörte wagnerianer-venus!), und als ich dann im pinken glitzerfummel vor ihm stand, sagte: “frau xxx, sie wissen ja, schönheit und weiblichkeit sind ja für jeden was anderes. für mich sind sie der inbegriff, ich bin ja eher der barocke typ.”
bis sich die weisen worte der höhner ihren weg in die zur ensinnlichten, schmallippig mageren oberfläche mutierende opernwelt gebahnt haben, gehe ich schwimmen (immerhin bleibe ich immer oben – angewandte physik), esse salat und schimpfe mit mir bei jedem gelegentlichen ausrutscher (namentlich: snickers-eis oder gorgonzola, nicht zwangsläufig zusammen), was mich der größe 36 und der soubrette natürlich keinen meter näher bringen wird.
aber nicht mehr lange, denn mein gesangslehrer sagte: wir werden jetzt ihren wechsel ins dramatische fach vorbereiten. sie werden dann einen HAUFEN ASCHE verdienen damit.
was ich bis dahin mache, hat er leider nicht gesagt. wahrscheinlich eine bank ausrauben.